Graduiertenkolleg Funktionen des Literarischen in Prozessen der Globalisierung
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Hendrik Nolde, M.A.

Poetik des globalen Dorfes: Transnationale Erzählliteratur vom ländlichen Raum als Reflexionsmedium der Globalisierung

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Abstract des Dissertationsprojekts

Es stellt keinesfalls einen Widerspruch dar, dass gerade im Zusammenhang mit der Erfahrung weltweiter Vernetzung und technologisch bedingter Beschleunigung des täglichen Lebens als Folgeerscheinungen von Globalisierungsprozessen auch der ländliche Raum vermehrt Aufmerksamkeit erfährt. Im Gegenteil kann die Beschäftigung mit sozialgeschichtlichen Transformationsprozessen von translokaler Tragweite bereits als konstitutives Merkmal einer Tradition realistischer Dorfprosa betrachtet werden, die sich im 19. Jahrhundert in zahlreichen europäischen Nationalliteraturen nahezu simultan herausbildete und großer Popularität erfreute.
Vergleichbare Hochphasen erzählerischer Hinwendung zu dörflichen Lebenswelten lassen sich seither weltweit im Umfeld gesellschaftlichen Umbruchs erkennen und unterstreichen die Bedeutung einer transnationalen Literatur des ländlichen Raums, welche übergeordnete Verflechtungen des Lokalen mit dem Globalen hervorhebt und reflektiert.

Ein ausgeprägtes Weltbewusstsein als Wahrnehmungshorizont, vor dem sich die narrative Auseinandersetzung mit dem Landleben entfaltet, zeichnet eine Vielzahl von literarischen Dorfgeschichten aus, und stellt zugleich eine Grundvoraussetzung für die Formulierung dezidiert lokaler Perspektiven auf vielschichtige Facetten globaler Entwicklungen dar. Grundsätzliche Fragen nach der Erzählbarkeit des Ruralen werden dabei ebenso aufgegriffen wie zeitgenössische gesellschaftsphilosophische Diskurse. Mitunter erscheinen fiktionale Dörfer in der Erzählliteratur
folglich als Experimentierfelder zur Auslotung von gemeinschaftlichen Lebensformen, die von dominanten nationalen oder zentralisierten Standards abweichen. Die Imagination dörflicher Weltentwürfe geht mit einer Konstruktion alternativer Bezugsgrößen einher, die sich tradierten Deutungsnormen entziehen. Parallel hierzu werden im Rahmen transnationaler Dorfliteratur wiederholt neuartige realistische Erzählverfahren erprobt, wobei sich insbesondere ein fluider Umgang mit literarischen Techniken und Traditionen erkennen lässt, welcher als paradigmatisch für die Dynamik und das reflexive Potential der Gattung betrachtet werden kann.

Ländliche Figuren treten in dieser Spielart der Dorfgeschichte als selbstbestimmte Subjekte auf, denen es ein Anliegen ist, Kontrolle über ihre eigenen Narrative auszuüben und die Deutungshoheit über Diskurse der Ländlichkeit nicht unwidersprochen urbanen Institutionen zu überlassen, wodurch zugleich der vermeintlich statische Dualismus von Zentrum und Peripherie neu verhandelt wird. Das Ergebnis ist die erzählerische Konfiguration eines reziproken
Austauschverhältnisses zwischen diesen Sphären, im Zuge dessen gerade auch die dörfliche Siedlung als gestalterisch bedeutsamer Raum erscheint und Vertreter der Landbevölkerung als ernstzunehmende Akteure innerhalb des komplexen Geflechts modernen Lebens unter den Bedingungen fortschreitender Globalisierung etabliert werden.

Kurzbiographie

Seit 2018 Doktorand am Kolleg

2017: M.A. Komparatistik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

2014: B.A. Europäische Literaturen, Philipps-Universität Marburg

Publikationen

"Dorfgeschichten, Globalisierung und gutes Leben auf dem Land. Dorf und Welt in der deutsch-sprachigen Landlebenliteratur von Berthold Auerbach zu Juli Zeh." In: Gutes Leben auf dem Land? Imagination – Projektion – Planung – Gestaltung, Bielefeld: Transcript, S. 377-392. (Voraussichtliche VÖ 2021)

"Welch ein Wirrsal ist die Welt!“ – Die Eisenbahn als Globalisierungsträger in Berthold Auer-bachs Schwarzwälder Dorfgeschichten." In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deut-schen Literatur. (Voraussichtliche VÖ 2021)