Graduiertenkolleg Funktionen des Literarischen in Prozessen der Globalisierung
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Vid Stevanović

Vid Stevanović, M.A.

'Auctorial Things': Das globale Wissen britischer Objekterzählungen

Abstract des Dissertationsprojekts

Das satirische Genre britischer Objekt-Erzählungen (auch It-Narratives oder Novels of Circulation genannt) zeichnet sich insbesondere durch eine atypische Erzählsituation aus: die Instanz der Autodiegese ist ein Gegenstand - meist eine Ware -, der seine Zirkulationsgeschichte durch menschliche Gesellschaften erzählt. Heute ein eher unbekanntes Genre, genossen diese Erzählungen während des langen 18. Jahrhunderts - und insbesondere gegen dessen Ende - eine enorme Popularität. Bei dieser deutlichen historischen Signatur handelt es sich nicht um einen Zufall: Object-
Narratives erreichen den Höhepunkt ihres kommerziellen Erfolgs in den letzten Dekaden des Jahrhunderts; zu einer Zeit also, die von einer Reihe an für das gesellschaftliche Imaginäre einschlägiger Zäsuren geprägt ist: der Inclosure Act von 1773, die Unabhängigkeit der nordamerikanischen Kolonien 1776 und die Französische Revolution 1789 bringen etablierte soziopolitische Ordnungssysteme ins Wanken. Gleichzeitig solidifiziert sich ein empiristisches
Paradigma institutionell und wird zum dominanten epistemologischen Strukturprinzip. Im Schnittpunkt dieser Achsen nehmen die proliferierenden Objekterzähler eine scheinbar paradoxe Funktion ein. Auf der einen Seite verkörpern sie die phantastische Perspektive eines Objektselbstbewusstseins, welches in der Lage ist eine Geschichte von sich zu erzählen, während sie auf der anderen Seite durch dieselbe radikalspekulative Perspektive einen Überschuss an Faktizität in Anspruch nehmen, und sich im Vergleich zu menschlichen Erzählern als die autoritativeren Instanzen setzen. Sie hypostasieren das Phantasma eines Zugangs zur Welt, der nicht immer schon durch das Prisma einer - ob moralisch oder intellektuell - unzuverlässigen menschlichen Subjektivität gebrochen wäre. Meine Hypothese an dieser Stelle besteht darin, dass diese innere Spannung ausschlaggebend für das konfliktreiche Verhältnis des Genres zu Prozessen der frühen Globalisierung ist, welche erst jene Zirkulationsnetzwerke schaffen, die letztlich die Möglichkeitsbedingung seiner narrativen Struktur bilden.

Lange Zeit mussten diese Texte als aus dem Kanon der englischen Literatur gefallen betrachtet werden. Erst in den letzten Jahren haben die Veröffentlichungen des Sammelbandes "The Secret Life of Things" und der Anthologie "British It-Narratives 1750-1830", verbunden mit einem neuen Interesse an Theorien der Materialität und des nicht-menschlichen Agens ein neues philologisches Interesse an diesem Gegenstand entfacht. Mein Projekt will einen Beitrag zur Wiederentdeckung dieses Genres leisten, indem es einige Fragen aufgreift, die für seine Verortung von zentraler Bedeutung sind:

  • Was sind die Implikationen dieser Erzählsituation für Theorien der Narratologie? In welchem Verhältnis stehen diese anti-mimetischen Erzählungen zu dem sich gleichzeitig herausbildenden Genre phantastischer Literatur? Ist es möglich eine diachrone Narratologie des Genres zu entwickeln?
  • Welche Position nehmen die für die Texte dominanten Topoi von Betrug, Fälschung und
    Falschmünzerei im Verhältnis zu deren epistemologischen Subtext und den Verschiebungen an
    der ihnen zugrundeliegenden ökonomischen Basis ein? Was sind die Konsequenzen der
    literalisierten Metapher vom sprechenden Geld, unter der Annahme einer Homologie zwischen
    ökonomischen und semiotischen Systemen?
  • Welche Verbindungen bestehen zwischen diesen zirkulierenden Objekten und denjenigen ihrer
    literarischen (Reiseberichte und Pikaroerzählungen) und ökonomischen (Merkantilismus und
    Nationalökonomie) Intertexte, die explizite oder implizite Zirkulationstheorien aufstellen?
  • Was ist die ökonomische Grundlage der Entstehung dieses Genres? In welcher Wechselwirkung
    stehen deren spezifische Produktionszusammenhänge (verbreitetes Plagiat, serielle Produktion)
    mit seiner narrativen Ausgestaltung? Welche Schnittmengen und/oder Divergenzen weist das
    Genre zu etablierten Theorien der Verdinglichung, insbesondere dem marxistischen Fetischismus
    der Ware auf? Bieten demgegenüber aktuelle Konzeptualisierungen von Materie, wie der New
    Materialism oder die Thing Theory einen Erkenntnismehrwert?
  • Schließlich: Was können diese Texte des 18. Jahrhunderts uns über die aktuelle Faszination,
    nicht nur mit dem Agens von Gegenständen, sondern auch deren Fähigkeit zur Speicherung von
    Informationen über ihre menschlichen Besitzer, sagen?

Die Antworten auf diese Fragen werden zuletzt ein Gerüst etablieren, das es ermöglichen wird zu klären, wieso diese Gegenstände gerade zu jenem historischen Zeitpunkt, kurz bevor sie industriell reproduzierbar und radikal verfügbarer, aber auch austauschbarer und wesentlich widerständiger werden, zu ihren Erzählungen ansetzen.

Kurzbiographie

Seit 2018 Doktorand am Kolleg

2015-2018: Wissenschaftliche Hilfskraft am Center for Advanced Studies, LMU München

2016: M.A. Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, LMU München

2013: B.A. Moderne Fremdsprachen, Kulturen und Wirtschaft, JLU Gießen


Publikationen

„‘Born with a Lie in My Mouth’: Counterfeit and Counterfactuality in It-Narratives”. In: Monika Fludernik u. Stephan Packard (Hg.). Lying and Related Fictions. Nomos. Im Erscheinen.

„The Pleasures of Peril: Dynamics of the Drive in Robinson Crusoe, Roderick Random, and the Adventures of Money“. In: Tobias Döring u. Martina Kübler (Hg.). The Pleasures of Peril. Ausgabe #36 von REAL. Yearbook of Research in English and American Literature. Im Erscheinen.

"Herakles in der Fabrik - Ein Nachwort." In: Vid Stevanović, Elisa Purschke, Maria Fixemer, Christiane Schäfer (Hg.). Literatur und Arbeit. Beiträge zum 7. SKK, Berlin: Frank und Timme, 2018, S. 237-247.

"Eine Koffergeschichte. Dingperspektiven auf Franz Kafkas Romanfragment Amerika/Der Verschollene." In: Agnes Bidmon und Michael Niehaus (Hg.). Kafkas Dinge. Forschungen der Deutschen Kafka-Gesellschaft. Band 6. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2019, S. 115-131.

“Spekulation als Verfahren. It-Narratives im Spannungsfeld phantastischer Literatur”. In: Tobias Lambrecht u. Ralph Müller (Hg.): Mischwesen und Mischwelten. Hybridität und Verfahrenstechnik in der Fantastik. Sonderausgabe # 4 von Textpraxis. Digitales Journal für Philologie (1.2020).